Ein merkwürdiger Grabstein auf dem alten Braker Kirchhof

Seine Rätsel sind nur teilweise lösbar

von Heinrich Fricke

abgedruckt in : Lemgoer Hefte Nr.22 / 1983

Abb. 1
Abb. 1

Unter den z.T. mehrere hundert Jahre alten Grabsteinen auf dem alten Friedhof bei der Braker Kirche ist einer, der bei näherer Betrachtung Rätsel aufgibt. Es ist ein Grabmal, das der Braker Notarius Otto Pförtner im Jahre 1696 in großer Trauer für seinen Sohn Johann Simon Paul aufstellen ließ, der bereits im Alter von wenig mehr als sechs Monaten verstorben war (Abb. 1) (Vergl. Lemgoer Hefte, Heft 12, Febr. 1981!)

Abb. 2
Abb. 2

Dieser Grabstein, der durch seinen merkwürdig asymmetrischen Sockel auffällt, ist aus einer Sandsteinplatte gearbeitet, die anfangs ganz offensichtlich von einem Steinmetzen für einen völlig anderen Zweck gestaltet wurde. Die alten Schmuckformen sind auf dem unteren Teil des Steines erhalten (Abb. 2): Oberhalb einer gleichmäßig auslaufenden Spirale ist noch die Hälfte eines Medaillons zu sehen, in dessen Mitte die Reste einer Hausmarke in Verbindung mit dem Buchstaben P erkennbar sind (s. Pfeil!). Über diesem Medaillon hat der Steinmetz, der den Grabstein fertigte, mit dem Scharriereisen auf der Vorder- und Rückseite eine Schicht von ca. 2 cm Stärke abgetragen, um eine glatte Fläche für die umfangreiche Beschriftung des Grabmals zu erhalten.

Ein Text in lateinischer Sprache füllt fast ganz die Frontseite. Die Übersetzung lautet: "Dieses Denkmal ist geheiligt, und es soll vom Vater Otto Pförtner gesetzt sein für die beweinten Gebeine seines innig geliebten Söhnchens Johann Simon Paul, der in dieses Tal der Tränen am 14. Mai 1669 geboren und am 30. November bereits wieder zur himmlischen Freude abberufen wurde. -An diesem Ort, oh Leser, sei Dir Deiner Zerbrechlichkeit bewußt!"

Die Beschriftung der Rückseite in deutscher Sprache lautet:

LEICH-TEXT
PSALM 112, V. 5
DEN FROMMEN GEHT DAS LIECHT AUF IM FINSTERNIS VON DEM GNÄDIGEN, BARMHERZIGEN UND GERECHTEN. (Abb. 3).

Abb. 3
Abb. 3

Als Kopfstück des Grabsteins ist ein Medaillon herausgearbeitet worden, das die gleiche Gestalt und die gleichen Schmuckformen hat wie das alte Medaillon auf dem Sockel des Steines. Die Hausmarke ist hier nach oben um einen Winkel erweitert und zeigt die Buchstaben J S P , die Anfangsbuchstaben von den Namen des verstorbenen Kindes, Johann Simon Paul (vergl. Abb. 1).

Abb. 4
Abb. 4

Betrachtet man die abgerundete untere Schmalseite des Grabsteins genauer, findet man dort sorgfältig eingemeißelt die Buchstaben H P und die Jahreszahl 1668 (Abb. 4). Demnach gehörte das alte Steinwerk, aus dem der Grabstein gearbeitetwurde, einem H P, offenbar H. Pförtner. Wer war dieser HP? Ein anderes, wenig beachtetes kleines Bildhauerwerk in Brake hilft uns bei der Beantwortung dieser Frage:

Im Giebelfeld des im Jahre 1913 erbauten Hauses Bahnhofstraße Nr. 13 (Delker) ist zwischen den beiden Dachgeschoßfenstern eine Steinplastik in die Bruchsteinwand eingelassen worden. Einzelheiten dieses Steines da oben am Hause sind von der Straße aus nicht gut zu erkennen. Ein Baugerüst für notwendige Reparaturarbeiten bot uns im vergangenen Jahr die Möglichkeit zu einer Nahaufnahme (Abb. 5), und die zeigte interessante Einzelheiten:

Abb. 5
Abb. 5

Die Skulptur, sie ist ca. 40cm hoch und 50cm breit, trägt in der Mitte eines Schildes eine Hausmarke in der gleichen Form wie auf unserem Grabstein, ebenfalls mit den Buchstaben H P.

Im Sockelstück des Steines sind trotz erheblicher Beschädigung die Buchstaben "..NRIC.. PÖRTEN"... zu entziffern. Die Buchstaben H P an der Hausmarke und an der Schmalseite des Grabsteins auf dem Kirchhof sind also offenbar die Abkürzung für den Namen Henrich Pörtener oder Heinrich Pförtner, der beide Bildhauerwerke in den Jahren 1666 und 1668 für sich anfertigen ließ. Die Unterschiede in der Schreibweise des Namens brauchen uns nicht zu stören, das war in der damaligen Zeit durchaus üblich.

Unsere Versuche, über einen Heinrich Pförtner oder eine Familie Pförtner in Brake etwas zu erfahren, waren im Staatsarchiv in Detmold erfolgreich:

Nach dem Heiratsverzeichnis des Braker Kirchenbuchs von 1664 heiratete am 17.5. 1664 Heinrich Pförtner aus Brake Agnetha Dylmann aus Bremen. Dieser Heinrich Pförtner war Kammerdiener beim Grafen Casimir zur Lippe-Brake, der von 1657 bis 1692 auf dem Braker Schloß residierte. Pförtner war also ein Mann, der ein besonderes Ansehen genoß.

Im Taufregisterdes Braker Kirchenbuchs von 1665 lesen wir folgende Eintragung: "3. März. Es hat zur Taufe gebracht seinen erstgeborenen Sohn Henrich Pförtner, dazu als Zeuge verbracht waren Herr Otto Capmeyer, hiesiger Amtmann und der Vatter, Herr Otto Dylmann, nach denen er genannt Otto."

Dieser Otto, Sohn von Henrich Pförtner, war der spätere Notarius Otto Pförtner, der im Jahre 1696 für seinen früh verstorbenen Sohn Johann Simon Paul den oben erwähnten Grabstein auf dem Braker Kirchhof errichten ließ.

Wo der Kammerdiener Henrich Pförtner in Brake gewohnt hat, ließ sich noch nicht feststellen. Von seinem Sohn, dem Notar Otto Pförtner, wissen wir, daß er ein Haus am Steinwege, der heutigen Braker Mitte hatte. Im Salbuch L 101-C I/Amt Brake Nr. 6 von 1721 (Staatsarchiv) finden wir folgende Eintragung:

"Otto Pf örtner,Gräfl. Lipp.OberGerichts Procurator, ordinarius und Kayserlich geschworener Notarius publicus

  1. Ist sowohl personal alß real von allen Lasten und Beschwerden, sie mögen Nahmen haben, wie sie wollen, laut Freybrief frey.
  2. Hat ein Wohnhaus am Steinwege, so im Osten mit Sobben, modo Johann Wilhelm Hattenbach und im Westen mit Bernd Füring benachbaret.
  3. Hinter dem Haus ein klein Häuschen.
  4. Neben dem Haus ein kleiner Hofraum, worauf einige kleine Bäume gepflanzt stehen."

Nach Absatz II der Salbucheintragung war Pförtners Grundstück im Osten also mit Sobben, oder später Johann Wilhelm Hattenbach benachbart.

Abb. 6
Abb. 6

Johann Wilhelm Hattenbach war Kammerdiener und Chirurg beim Grafen Ludwig Ferdinand zur Lippe-Brake, dem letzten Grafen der Braker Linie. Hattenbach hatte im Jahre 1708 von den Sobbeschen Erben deren Besitz am Steinweg in Brake die jetzigen Grundstücke 24 und 26 an der Braker Mitte, erworben (Nach W. Süvern, Geschichte der Gemeinde Brake). Der Notar Otto Pförtner wohnte also als westlicher Nachbar der Hattenbachs in dem etwas zurückliegenden Fachwerkhaus Braker Mitte Nr. 28 (Fischer, früher Potthast). Dieses alte Fachwerkhaus wird übrigens z.Zt. vom neuen Besitzer mit großem Engagement saniert. Im Innern wurde es bereits mit Phantasie und viel Geschick neu gestaltet.

Betrachten wir nun abschließend noch einmal unsere beiden Steine: Die Skulptur am Hause Delker aus dem Jahre 1666 weist Schmuckformen auf, für die die Wappentafel des Grafen Casimir, des Dienstherrn Pförtners, und seiner Gemahlin am Ostflügel des Braker Schlosses Vorbild gewesen sein dürften (Abb. 6). DieserWappenstein stammt ebenfalls aus dem Jahre 1666. Die je drei Blattknollen rechts und links neben der Pförtnerschen Hausmarke sind z.B. in Formgebung und Anordnung auffallend ähnlich gestaltet, wie die Blattknollen neben den Wappen auf der Tafel am Schloß.

Auffallend an der Plastik am Hause Bahnhofstraße 13 ist die Gestaltung der Stirnseiten: Während die Ohrmuschel auf der rechten Seite nach außen schmucklos schlicht gehalten ist, (Abb. 5;) wurde auf der linken Seite ein stark vorspringender Maskenkopf herausgearbeitet (Abb. 7). Diese Seite war offenbar die Sichtseite des Steines. Wo und wie der Stein ursprünglich verwendet wurde, wissen wir nicht, wie er an seinen heutigen Platz kam, ist bekannt:

Abb. 7
Abb. 7

Auf dem Grundstück, auf dem im Jahre 1913 das Haus Bahnhofstraße 13 errichtet wurde, stand etwas zurückliegend eine Scheune, die dem Neubau weichen mußte. Die Scheune hat früher zum Besitz des oben erwähnten Amtmanns Otto Capmeyer gehört, der als Pate bei der Taufe des späteren Notars Otto Pförtner im Braker Kirchenbuch von 1665 eingetragen ist. Ob verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien Capmeyer und Pförtner bestanden haben, ist nicht bekannt.

In dieser ehemals Capmeyerschen Scheune fand man den Pförtner-Stein. Er wurde vom Bauherrn in die Wand des neuen Hauses an der Bahnhofstraße übernommen und blieb uns so erhalten.

Der Stein, aus dem der Grabstein auf dem Braker Kirchhof gearbeitet wurde, könnte vielleicht als Seitenwange für einen Kamin gearbeitet worden sein. Die im Sockel des Grabsteins erhaltenen älteren Steinmetzarbeiten sowie die Stellung der Buchstaben und der Jahreszahl auf der Schmalseite des Steines (vergl. Abb. 2 und 4) lassen einwandfrei erkennen, daß er ursprünglich in waagerechter Lage seine Verwendung gefunden hat oder finden sollte.

Abb. 8
Abb. 8

Bemerkenswert ist, daß die linke Schmalseite des Grabsteins bis zum Punkt A in der Abb. 8 deutlich a n d e r e Bearbeitungsspuren aufweist als oberhalb dieses Punktes. Es ist also anzunehmen, daß der vorhandene Stein vor seiner Umgestaltung zu einem Grabstein von diesem Punkt A aus einen anderen Verlauf genommen hat. In Fortsetzung des Abschwungs bei A könnte man sich den Fortgang der Konturen etwa so vorstellen, wie es in Abb. 8 gestrichelt skizziert worden ist. In dieser Konsolen-Form wäre die Verwendung des Steins als Kaminwange durchaus vorstellbar.

Schlüssig lösbar ist unser Rätsel also nicht, aber die Beschäftigung mit den beiden Steinen hat doch kleine Einblicke in die Geschichte einer Familie vermittelt, die schon vor über 300 Jahren in Brake lebte und wirkte.

Einige weitere Nachrichten über die Braker Pförtners entnehmen wir der Brenkerschen Sammlung lippischer Familiennamen (D 77 Brenker, Staatsarchiv Detmold):

Wir erfahren da, daß ein zweiter Sohn des Notars Otto Pförtner am 28.7.1698 in Brake geboren und am 10.8.1698 auf die Namen Johann Friedrich Adam getauft wurde. J.F.A. Pförtner besuchte 1718 das Gymnasium Illustre zu Bremen und studierte dort ab 1719 Theologie.

Ob er zum Studium nach Bremen ging, weil Angehörige der Familie Dylmann dort noch lebten? Seine Großmutter mütterlicherseits Agnetha Dylmann, Frau des Kammerdieners Henrich Pförtner, stammte ja aus Bremen.

Im Jahre 1729 regelte dieser Johannes Friedrich Adam Pförtner, inzwischen Rektor in Rheda, den Nachlaß seines Vaters Otto Pförtner. Otto Pförtner müßte demnach im Alter von 64 Jahren gestorben sein.